Vive le Concert! – mit Pierre-Etienne Sagnol, Komponist von Phoenix Ouverture

Projekte | 21.10.2021

Pierre-Etienne, du kennst die Blasmusikszene und die Landwehr seit vielen Jahren sehr gut. Im Laufe deiner Karriere hast du für eine Vielzahl von Besetzungen geschrieben. Was fasziniert dich besonders an Blasorchestern und worauf musst du achten, wenn du für diese Art von Ensemble schreibst?

Jede Gruppe, ob vokal oder instrumental, hat ihre eigenen „Farben“, ihre eigenen „Timbres“. Ein Vergleich mit der Malerei scheint mir diese Unterschiede gut zu verdeutlichen:

Ein Maler, der innerhalb des spezifischen Rahmens der Monochromie arbeiten würde, hätte nur eine Farbe zur Verfügung, zum Beispiel Blau. Dann würde er sein Werk schaffen, indem er mit den verschiedensten Blautönen und möglichst verschiedenen Texturen die Subtilität in allen möglichen Atmosphären sucht.

In einem anderen Kontext würde ein Maler, der über eine große Farbpalette verfügt, einen anderen kreativen Ansatz wählen. Er würde Schattierungen und Texturen auf die gleiche Weise anwenden, würde aber auch die Vielfalt der Farben nutzen.

Für mich bietet das Komponieren für ein Blasorchester diese Vielfarbigkeit. Es geht darum, mit der Vielfalt der Farben, den spezifischen „Klangfarben“ der Holzbläser, Blechbläser und Schlaginstrumente sowie mit verschiedenen Instrumenten zu komponieren.

Ich mag es, einen kreativen Prozess sowohl in einem monochromen als auch in einem polychromen Umfeld zu nutzen, der Kontext ist anders, aber der Prozess ist genauso anregend!

In den letzten Jahren hast du immer wieder Tonbandaufnahmen und elektronisch erzeugte Klänge in deine Kompositionen integriert. Was fasziniert dich daran und was ist die künstlerische Absicht hinter diesen Klängen?

In diesem Prozess der Integration von elektronischen und elektroakustischen Effekten finde ich ein komplementäres „Instrument“ zum Orchester.

Das Tonband kann naturgemäss Geräusche, musikalische Klänge oder Text enthalten. Das Interessante daran ist diese Elemente zu bearbeiten, umzuwandeln, sie bis zur Unkenntlichkeit zu verändern, so dass sie ihre ursprüngliche Bedeutung verlieren und mit dem Orchesterspiel verschmelzen.  

In Phoenix ist die Tonspur ohne besondere Behandlung präsent, wie ein Spiegel zwischen Originalklängen und ihren instrumentalen Imitationen.

Warum der Titel „Phoenix Ouverture“? Was hat dich dazu gebracht, den Morsecode als musikalisches Material zu verwenden?

„Vom Feuer verbrannt, erwacht der Phoenix in seiner Asche wieder zum Leben“.

Im Hinblick auf das erste öffentliche Jahreskonzert der Landwehr in diesen komplizierten Zeiten, wollte ich diesen mythischen Vogel, der Wiedergeburt und Unsterblichkeit symbolisiert, ins rechte Licht rücken. Nach Schwierigkeiten und Leiden muss man aus ihnen lernen, um mit Elan in die Zukunft zu starten.

Das Morsealphabet hat mich schon lange gereizt. Ich erinnere mich, dass mein Vater uns während seiner Militärzeit als französischer Soldat bei seiner Vorbereitung auf den Algerienkrieg, erzählte, dass er das Morsealphabet gelernt habe. Es war magisch, als junger Mann das Wort SOS ( . . . – – – . . . ) codieren zu können und dann die Metapher des V des Sieges zu verstehen, die während des Weltkriegs mit Beethovens fünfter Symphonie (…-) verbunden wurde. 

In Phoenix erschien es mir originell, drei Worte im Morsecode zu schreiben: Freiburg – Ever – Hope. Diese rhythmischen Codes habe ich in melodische Linien umgewandelt und sie dann harmonisiert und orchestriert.

Du hast mir erklärt, dass du die Phoenix-Ouvertüre in relativ kurzer Zeit geschrieben hast, was sie umso intensiver machte. Arbeitest du oft so oder ist es von Komposition zu Komposition unterschiedlich? Wie gehst du normalerweise vor? Kommt dir eine Idee auf Knopfdruck oder hast du einen Vorrat an Ideen, die du sofort umsetzen kannst?

Wie Ideen zustande kommen, ist schwer zu sagen… jedenfalls nicht auf Knopfdruck!

In erster Linie sammle ich Ideen, indem ich mich selbst dokumentiere, lese und meine Fantasie am Klavier mehrere Wochen lang schweifen lasse.

In einem Skizzenbuch kann ich die Elemente notieren, die mir gut erscheinen, die Struktur des Stücks skizzieren, einen Vorrat an Stimmungen, Melodien, Rhythmen, harmonischen Verläufen anlegen… Komposition ist eine Sache der Geduld, der Beobachtung, dem Zuhören und dem Gefühl.

Diese Zeit der Ideenakkumulation ist wichtig. Aus diesem musikalischen Material kann das Stück aufgebaut und gestaltet werden. Ich mag das Bild von Abraham Lincoln, als er gebeten wurde, eine große Aufgabe zu erledigen…

„Geben sie mir sechs Stunden, um einen Baum zu fällen, brauche ich vier davon, um meine Säge zu schärfen!“

Danach muss alles eine kohärente Form annehmen, möglichst mit einem originellen Ansatz. In dieser Zeit muss ich sehr regelmässig und mit einer gewissen Dringlichkeit im Hinblick auf die Frist arbeiten…

Zum ersten Mal in diesem Sommer verbrachte ich sieben Tage allein in der Doubs-Region , um mich ausschliesslich dem Schreiben dieses Stücks zu widmen und das musikalische Material zu verwenden, das es mir ermöglicht hatte, „meine Säge zu schärfen“.

Zum ersten Mal hatte ich den seltsamen Eindruck, dass die Zeit stehen geblieben zu sein scheint und der Geist völlig von der Arbeit in der Entstehung in Beschlag genommen wurde.

Die Momente, in denen die Ideen nicht mehr kommen, in denen die Quelle versiegt zu sein scheint, haben mich lange Zeit beunruhigt. Jetzt warte ich und gehe spazieren… Je intensiver die Reflexion ist, desto mehr muss man wissen, wie man sich zurückzieht und entspannt.

Plötzlich taucht eine Spur auf, eine anregende Idee bringt den Prozess wieder in Schwung… man muss nur die Ader ausgraben!

Die abschliessende Orchestrierung und die Gestaltung der Partitur sind willkommene Momente. Das Werk ist da, und wir geben ihm den letzten Pinselstrich, den letzten Schliff, bevor wir es mit seinen Stärken und Unvollkommenheiten in die Hände eines Dirigenten und von Musikerinnen und Musikern sowie in die Ohren des Publikums entlassen!

Vielen Dank für das Vertrauen, viel Vergnügen bei der Aufführung und Anhörung.

Photo Lib/Alain Wicht